Kann es von Vorteil sein, einer diskriminierten Gruppe anzugehören? Bei manchen Jobs und Fördertöpfen durchaus. Brisant wird es, wenn Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft behaupten, Teil einer diskriminierten Gruppe zu sein. Ist das dann ein Fall für das Gericht? Oder den Online-Pranger? Und was steht dabei im Theater auf dem Spiel? Diese Fragen verhandeln vier Aktivist*innen in einer rasanten Show über das Verhältnis von Theater, Gericht und Sozialen Medien.
FFT Düsseldorf
Sprache: Deutsch und Englisch, Handout auf Englisch
10.6. im Anschluss: Publikumsgespräch in deutscher Sprache mit den Künstler*innen und Mithu Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin. Moderation: Katja Grawinkel, Dramaturgin FFT Düsseldorf
Ein Tweet entlarvt die Indigenen-Aktivistin als Weiße mit reichen Eltern. Darf sie sich als etwas ausgeben, das sie nicht ist? Nicht nur hat sie die indigene Gemeinschaft betrogen, sie hat auch noch Fördergelder erhalten, die für Marginalisierte bestimmt waren. Was gerecht ist und was nicht, verhandelt JUSTITIA! in verschiedenen Show-Formaten wie Gerichtsdrama und Musical, in einer TV-Reportage und in Twitter-Postings, die von Videoleinwänden aufs Publikum einprasseln. Die Darsteller*innen wechseln dabei immer wieder ihre Rollen: Mal treten sie als Aktivist*innen auf, mal als Gerichtspersonal von Angeklagter*Angeklagtem bis Richter*in. Was von all dem ist echt, was nur ein Spiel?
Der Fall der falschen Indigena jedenfalls scheint klar. Aber wie sieht es aus mit dem Transgender-Aktivisten, der sich wegen der Frauenquote in einem Bewerbungsverfahren als Frau vorstellte, obwohl seine Transition zum Mann schon abgeschlossen war? Wenn sich Gender-Grenzen allmählich auflösen, gilt das auch für die Kategorie race? In dieser Show gibt es keine einfachen Antworten. Und gerade deshalb macht Identitätspolitik selten so viel Spaß wie hier.
„Der Abend stellt schwerwiegende Fragen auf überraschend leichtfüßige Weise.“
Petra Paterno, Wiener Zeitung, 25.11.2022
Konzept, Performance: Gin Müller
Performance: Edwarda Gurrola, Mariama Nzinga Diallo, Sandra Selimović
Dramaturgie, Regie: Gin Müller, Natalie Ananda Assmann, Selina Shirin Stritzel, Andreas Fleck
Visuals: Sabine Marte
Sound/Musik: Lisa Kortschak
Gestaltung Tweets: Hicran Ergen
Assistenz: Ines Kaiser
Video-Patches: Oliver Stotz
Bühne: Rupert Müller
Kostüm: Noushin Redjaian
Grafikdesign: Georg Starzner
Fotosujet/Videodokumentation: Magdalena Fischer
Tontechnik: Lisa-Maria Hollaus
Eine Koproduktion von Verein zur Förderung der Bewegungsfreiheit und brut Wien. Mit freundlicher Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien.
Natalie Ananda Assmann, geboren 1988, ist freischaffende Künstlerin, Theaterschaffende, Kuratorin und Performerin. Ihre Arbeiten setzen an der Schnittstelle von theatraler Intervention in den öffentlichen Raum und queer-feministischer, antifaschistischer Bildproduktion an. 2019/20 war sie im künstlerischen Leitungsteam der Wienwoche – Festival for Art & Activism in Wien tätig. Ihre letzte Arbeit produzierte sie gemeinsam mit Nora Aaron Scherer, Janoushka Kamin und Magdalena Fischer für das Britney X Festival am Schauspiel Köln. „City of Whores“ im Rahmen von Red Rules Vienna war ihre letzte große Regiearbeit im F23 in Wien, eine Kollaboration mit Red Edition – Migrant Sexworkers Group. In Berlin realisierte sie letztes Jahr gemeinsam mit Marlene Engel, Bahar Kaygusuz und Leonard Neumann „NONBINARY – A Tribute to Genesis P-Orridge“ an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Weitere Arbeiten waren im Rahmen des Spectrum-Festivals oder des Impulse Theater Festivals zu sehen. Gemeinsam mit Gin Müller kuratierte sie 2022 für die Impulse die Akademie „Ar/ctivism – Kunst und Aktivismus im Freien Theater“ in Köln; Sie lebt mit ihrer Partnerin und ihrer Hündin in Berlin und Wien.
Mariama Nzinga Diallo ist Migrant*in, Aktivist*in und Panafrikanist*in. Als Künstler*in, Fotograf*in, Performer*in studierte sie an der Akademie der bildenden Künste Wien Kontextuelle Malerei. Geboren in Guinea, arbeitet sie in der visuellen Kunst und Transformation, ihre Kunst ist politisch angestammt. Aktuell arbeitet sie an der Universität Wien und ist Teil des Kollektivs Schwabinggrad Ballett und Arrivati in Hamburg.
Andreas Fleck, geboren 1985 in Graz, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien sowie Comparative Dramaturgy and Performance Research an der Goethe-Universität Frankfurt und der Université libre de Bruxelles. Als Produktionsleiter und Dramaturg arbeitet/e er für unterschiedliche Theaterinstitutionen (u. a. brut Wien, workspacebrussels, Schauspielhaus Wien) sowie für freie Theatergruppen (u. a. Nesterval oder Gin Müller). Er ist Leiter der männlichen* Cheerleader-Gruppe Fearleaders Vienna und entwickelt gemeinsam mit diesen Party-Veranstaltungen, Choreografien und Workshops. Ab Mai 2023 ist er künstlerischer Leiter von WUK performing arts.
Edwarda Gurrola, geboren 1979 in Mexiko, begann 1987 professionell für Theater, Film und Fernsehen zu arbeiten. Sie hat mit renommierten Regisseur*innen des mexikanischen Kinos und Theaters gearbeitet. Seit 2009 spielt sie am brut in Wien regelmäßig in Produktionen von Gin Müller. Zurzeit bereitet sie verschiedene Projekte in Mexiko und Österreich vor.
Ines Kaiser wurde 1998 in Linz geboren und studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. In der Spielzeit 2019/20 arbeitete sie am Volkstheater Wien als Projektassistentin und leitete den Spielclub „Ministerium für schlüpfrige Angelegenheiten“. Seit 2020 ist sie als Regieassistentin tätig, vor allem in der freien Szene, u. a. auch am Werk X. Zudem ist sie seit 2021 Produktionsleiterin bei frame[o]ut Open Air Cinema im MuseumsQuartier Wien. Als Performerin war sie bereits bei „Cumernustag“ (Wienwoche 2021) sowie in Arbeiten von Claudia Bosse („Thyestes Brüder! Kapital“ und „Oracle And Sacrifice in the woods“) und im LOT Wien zu sehen. Sie entwickelt auch eigene künstlerische Arbeiten, u. a. im Rahmen der Raw Matters Tender Steps Residency (Januar 2021).
Lisa Kortschak lebt und arbeitet als transmediale Künstlerin mit Schwerpunkt Video, Videoinstallation und Performance in Wien. In ihren Arbeiten spielen Sound bzw. Töne eine große Rolle. Als Musikerin und Sängerin ist sie u. a. in Bands wie Half Darling oder In The Hills, The Cities aktiv. Sound bzw. Musik komponierte sie bisher für ihre eigenen Live- und Videoprojekte bzw. gemeinsam mit Elise Mory für Theaterproduktionen von Lisa Hinterreithner.
Sabine Marte ist Videokünstlerin, Performerin und Musikerin. In ihren Videoarbeiten, in denen sie oft selbst als Akteurin auftritt, spielen Selbst- und Fremdwahrnehmung eine wichtige Rolle. Marte fokussiert mit der Kamera sich selbst und ihre allernächste Umgebung. In ihren existenziellen Auseinandersetzungen setzt sie durch die Integration von realem und filmischem Raum das sich selbst beobachtende Subjekt in ein Verhältnis zur unmittelbaren Umwelt. Sprache – oft kommentiert ihre Stimme aus dem Off – und Musik stehen dabei im Zentrum ihrer Arbeiten. Sie geben den Rhythmus vor oder reflektieren das Gezeigte. Zusätzlich verzerrt und dekonstruiert Sabine Marte ihre Videobilder oder erzeugt sie aus ungewöhnlichen Aufnahmewinkeln. Aus der Zusammenführung ergibt sich eine besondere und zuweilen trashige Bildästhetik, die verwirrend und anziehend zugleich ist und dabei eine befreiende Wirkung entfaltet.
Gin Müller ist Dramaturg und Ar/ctivist und arbeitet im Bereich Theater/Performance/Queer Studies. Er ist Lektor an der Universität Wien (Theater-, Film- und Medienwissenschaft). Daneben realisiert er eigene Theater- und Performancearbeiten in Wien (brut) und Mexico City, u. a.: „Melodrom/Rebelodrom – NoborderZone“ (2012/13), „TransGenderMoves“ (2014/15), „Fantomas Monster“ (2016/17), „the que_ring drama project“ (2018/19), „Sodom Vienna“ (2020/21). Darüber hinaus ist er Mitbegründer der noborder VolxTheaterKarawane (2001–2004) sowie der Band SV Damenkraft (2003–2008). Er engagierte sich auch aktiv im „Refugee Protest Vienna“ (2012/13) und bei „Queer Base“.
Noushin Redjaian, geboren 1988, studierte von 2010 bis 2017 an der Universität für angewandte Kunst Wien Design/Mode bei Bernhard Wilhelm und Hussein Chalayan. Von 2012 bis 2015 studierte sie Grafik und Druckgrafik bei Jan Svenungsson, 2015/16 Transmediale Kunst bei Brigitte Kowanz. Sie lebt und arbeitet als Künstlerin und Modedesignerin in Wien. In ihrer Kunst beschäftigt sich Noushin Redjaian mit der transzendenten Natur der Symbolsprache und ihrer Konservierung. Inspiriert durch Kulturgeschichte und Poesie formt sie Objekte und Skulpturen, die mit ihrer Vergangenheit und Zukunft konfrontiert sind.
Sandra Selimović ist Schauspielerin, Regisseurin, Rapperin, Aktivistin. 1981 in Zajecar (Serbien) geboren, steht sie seit 1994 auf der Bühne. Derzeit spielt sie in „Die Ärztin“ von Robert Icke am Burgtheater in Wien und in „Roma Army“ unter der Regie von Yael Ronen am Maxim Gorki Theater in Berlin. Als freischaffende Künstlerin arbeitete sie am Volkstheater Wien, am Schauspiel Essen, am Staatstheater Kassel und in der freien Szene als Schauspielerin und Regisseurin in Österreich, Deutschland und Rumänien. Im Alter von zwölf Jahren drehte sie ihre erste ORF-Fernsehserie „Operation Dunarea“. Gemeinsam mit Tina Leisch führte sie bei ihrem ersten Dokumentarfilm „Gangster Girls“ im Frauengefängnis Schwarzau Regie, der bei der Viennale und beim Münchner Dokumentarfilmfestival gezeigt wurde. 2010 gründeten sie und ihre Schwester Simonida Selimović den ersten feministischen Roma-Theaterverein Romano Svato und begannen gleichzeitig als Rap-Duo Mindj Panther Musik zu machen. In ihren Produktionen setzen sie sich mit Rassismus, Sexismus, Identität, Feminismus und Ausgrenzung auseinander und durchbrechen dabei das stereotype Bild und die Klischees der Roma-Volksgruppe. Als selbstbewusste und queere Roma ist Sandra Selimović einerseits eine Vorkämpferin für die Gleichberechtigung von Frauen in der Roma-Gemeinschaft, andererseits engagiert sie sich gegen antiziganistische Diskriminierung. 2013 gewann sie mit ihrer ersten Regiearbeit den Publikumspreis der Jungen Burg als jüngste Regisseurin am Akademietheater.
Selina Shirin Stritzel ist freischaffende Theatermacherin, politische Bildungsarbeiterin, Kulturwissenschaftlerin und transmediale Künstlerin. Sie studiert an der Akademie der bildenden Künste Wien Critical Studies und schreibt ihre Masterarbeit über „Postmigrantische Identitäten – the things we do for love“. Sie ist Mitbegründerin des Vereins Vielmehr für Alle! und von PROSA-Projekt Schule für Alle!. Von 2014 bis 2017 war sie am Ballhaus Naunynstraße Berlin u. a. als Regieassistentin, Dramaturgin, Co-Regisseurin und Leiterin der akademie der autodidakten tätig. Für „the que_ring drama project“ arbeitete sie bereits 2018 und 2019 mit Gin Müller und Radostina Patulova im brut Wien zusammen. Sie arbeitete als Projektkoordinatorin von Akademie geht in die Schule an der Akademie der bildenden Künste Wien. Als Kunstvermittlerin arbeitet sie u. a. für die INVENTOUR von KÖR NÖ und für das Projekt DERLA der Uni Graz in Kooperation mit dem OeAd. Ihre künstlerischen Arbeiten in Form von Malerei, Performance und Film waren u. a. im mumok und im Exhibit Eschenbachgasse zu sehen.